Ihrer Herkunft und ihrem Anspruch nach ist die Körperpsychotherapie ein Hybrid. Zum einen ein tiefenpsychologisches Verfahren und eine Kunst, deren Vermögen vor allem darin besteht, emotionale Tiefenschichten des menschlichen Erlebens zu erforschen und dem menschlichen Selbst aus den unbewussten Beeinträchtigungen und Fixierungen an die unglücklichen Anfänge der eigenen Geschichte herauszuhelfen und Neuanfänge zu wagen. Mitunter muss man in einer Welt, in der sowohl das Essen wie auch das Denken in Lightversionen verkauft wird, daran erinnern, dass dies leichter gesagt ist als getan. Es geht um nicht weniger als die Auflösung und das Verlernen basaler affektmotorischer Schemata mit den dazugehörigen Überzeugungen und Beziehungserwartungen. Diese sind, abgesehen von ihrer unbewussten Natur, nach Auskunft der Gehirnforscher so tief im emotionalen Erfahrungsgedächtnis des limbischen Systems verankert, dass prominente Neuropsychologen wie Joseph LeDoux oder Gerhard Roth daran zweifeln, ob an ihnen überhaupt etwas zu ändern ist. In meiner eigenen nicht-neuropsychologischen Terminologie erklärt sich die Resistenz dieser Schemata aus zwei Momenten,
a) daraus, dass sie Anpassungs- und Überlebensstrategien beinhalten, die uns dabei geholfen haben, die Dramen unserer Kindheit mit all ihren defizitären, schmerzhaften, einschränkenden und verrückten Beziehungskonstellationen zu überstehen, und
b) weil sie identitätsstiftend sind. Das heißt, wie eingeschränkt auch immer wir uns in unserer emotionalen und psychischen Struktur wahrnehmen, so gibt sie uns doch ein Gefühl zu wissen, wer wir sind, was wir können und was nicht, welche unserer Wünsche und Bedürfnisse realistisch sind und wie weit es sinnvoll erscheint, uns auf andere und die Welt einzulassen. In der Sprache existenziellen Humors gesprochen heißt das, dass wir uns innerhalb unserer körperlich-seelischen Struktur immer auch ein wenig wie zu Hause fühlen. Es ziehen in der Regel nur diejenigen aus, die es zu Hause nicht gut aushalten oder von so viel Neugier, Abenteuerlust und Wachstumsmotiven getrieben sind, dass sie bereit sind, sich ohne gesicherte Landkarte auf die offene See zu begeben und das Risiko, irgendwohin getrieben zu werden, auf sich nehmen.
Damit sind wir schon bei dem zweiten Identitätsaspekt der Körperpsychotherapie. Ihre historische Rehabilitation hatte sie im Rahmen der Humanistischen Psychologie, also der Bewegung innerhalb des psychotherapeutischen Feldes, die als Dritte Kraft zwischen Psychoanalyse und Behaviorismus berühmt wurde und die Psychotherapie vor allem in den 60er- und 70er-Jahren mit einer großen Inspiration erneuerte, die bis heute nachwirkt. Als Teil der Humanistischen Psychologie verfügt die Körperpsychotherapie über einen perspektivischen Horizont und ein Menschenbild, die weit über die pathologieorientierten Ansätze der klassischen Verfahren hinausgehen. Wachstum und Selbstaktualisierung des menschlichen Potentials gehören unabdingbar zu ihren paradigmatischen Grundlagen. Sicherlich kann man aus heutiger Sichteinige der theoretischen Konstruktionen der Humanistischen Psychologie nicht ungebrochen und kritiklos als so selbstverständlich ansehen, wie es in der frühen Aufbruchsphase einmal der Fall gewesen ist. So machte die Betonung der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung, die in Abraham Maslows Theorie zu lesen ist, Sinn auf dem Hintergrund einer noch lustfeindlichen, repressiven Verfasstheit des euro-amerikanischen Kulturraums. In dem entwickelten Schlaraffenland des postmodernen Konsumkapitalismus ist die Reizung der Bedürfnisse und die Propaganda, wonach menschliches Glück wesentlich auf der umfassenden Befriedigung unserer Bedürfnisse beruht, dagegen allgegenwärtig. In diesem Kontext liegt sicher ein wesentlicher Aspekt der Maslowschen Theorie, der mehr als revisionsbedürftig ist. Bedürfnisse per se sind aus einer gegenwartskritischen Perspektive auf keinen Fall als emanzipatorische Kategorie zu sehen, im Gegenteil. Es wäre herauszufinden, wo Bedürfnisbefriedigung als Ultima Ratio Menschen schwächt und manipulationsfähig an die alternativlose Immanenz einer globalen Kultur, in der alles zur Ware wird, bindet. Die Frage, welche Bedürfnisse überhaupt Chancen der Selbstwerdung oder -aktualisierung beinhalten, ist sicher nicht leicht und vorschnell zu beantworten. Dazu müssten wir an den aus guten Gründen nicht vollständig explizierten Kern des Maslowschen Selbstbegriffs anknüpfen und die Frage stellen, wie ein Selbst, das sich durch Eigensinn Autonomie und der in seinem Spätwerk skizzierten, über das konventionelle Ganze hinausweisenden seinsorientierten Offenheit und Transzendenz ausweist, überhaupt zu denken, zu fassen oder aufzuspüren sind.
Auch Maslows berühmter Entwurf einer Hierarchie der Bedürfnisse, der erstaunlicherweise nicht in der therapeutischen Welt, sondern in der Coaching Branche überlebt hat, ist auf dem Hintergrund der heutigen kulturellen Situation mit Vorsicht zu genießen. Allzu leicht kann sie als Rechtfertigung gelesen werden, die Frage nach dem Sinn, dessen was wir tun, auf den Tag zu verschieben, an dem unsere Wünsche nach Sicherheit und Anerkennung weitestgehend befriedigt sind. Das kann unter Umständen lange dauern angesichts der permanenten Destabilisierung der Lebensverhältnisse in einer entgrenzten Welt, in der die Gesetze der Kapitalakkumulation umfassend werden. Dieser Teil der Maslowschen Bedürfnistheorie musste darüber hinaus in den vergangenen Jahrzehnten nicht selten zur Tarnung von grandios-narzisstischen Selbstbildern und -entwürfen herhalten. Auf den nicht unwesentlichen Unterschied zwischen Selbst und Selbstbildern komme ich gleich noch mal zurück.
Davor will ich zumindest andeuten, dass eine körperlich fundierte Psychotherapie mit besonderen Schwierigkeiten und Tücken zu rechnen hat. Im Gegensatz zu den Fraktionen der therapeutischen Zunft, die nur mit dem immateriellen Substrat der Psyche arbeiten, verführt uns die Materialität bestimmter Aspekte des Körpers wie Atmung, Muskeltonus, Erregungsniveau, Haltung, et cetera nicht selten dazu, zu denken, dass, wenn wir diese ändern, der psychische Rest von alleine nachzieht. Es gibt kaum eine Grundform therapeutischer Mythologie, die sich so zäh hält und in unzähligen Varianten immer wieder in Neuauflagen erscheint, wie diese im Kern materialistische Hoffnung, die flüchtige und flüssige menschliche Seele über ihr materielles Substrat letztendlich doch form- und damit beherrschbar zu machen. Meine persönlichen und meine therapeutischen Erfahrungen zeigen in eine andere Richtung: dass nur, wenn die affektmotorischen Schemata und ihre verschiedenen somatischen wie geistigen Aspekte, aber vor allem deren emotionale oder affektive Kerne wiederbelebt und durchgearbeitet werden, tiefgreifende Veränderungen zu erwarten sind. Gerade wegen der Materialität ihres Gegenstandes läuft die Körperpsychotherapie in ihrem Selbstverständnis Gefahr, kategorialen Missverständnissen aufzusitzen. Dann tendiert sie dazu, zu vergessen, dass wir es mit der Aufklärung und Entfaltung menschlicher Subjektivität zu tun haben und nicht, wie bei naturwissenschaftlich begründeten Prozeduren, mit der Beeinflussung vermessbarer und quantifizierbarer Objekte.
Hier gilt es, sich an zweierlei zu erinnern. Zum einen an die von den Leibphilosophen ins Spiel gebrachte fundamentale Unterscheidung zwischen Körper haben und Leib sein. Im Leibbegriff ist trotz der Fragwürdigkeit der katholischen Obertöne nicht der objektivierbare Körper, den ich sehen, bewegen, empfinden und manipulieren kann, angesprochen, sondern, wie Thomas Fuchs das formuliert hat, vielmehr das subjektive Vermögen zu sehen, zu berühren und zu empfinden. Er ist kein Objekt in der Welt, sondern das Vermögen, das mir die Welt erst eröffnet. Gerade die basalen, immer körperlich fundierten Vermögen der Selbst- und Weltwahrnehmung werden aber durch Fremd- und Selbstmanipulation erheblich unterminiert. Mit dem Begriff der Selbstmanipulation sind wir beim zweiten Aspekt, den eine Körperpsychotherapie, die an dem Anspruch festhält, sich selbst weiterhin im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung zu reflektieren, zu beachten hätte. Dies liefe darauf hinaus zu begreifen, wie umfassend wir, die postmodernen Individuen, von einer vor allem massenmedial produzierten Matrix vereinnahmt sind, die unsere Seelen mit narzisstischen Imagos der Leichtigkeit, des Erfolgs, der Attraktivität und des Glücks bombardieren. Wir sind umgeben von Myriaden von Bildern, die uns von früh an darüber informieren, was angesagt ist, wie wir uns zu bewegen haben, wie wir gestimmt sein sollen, was wir zu fühlen, zu sagen, zu tun und vor allem zu konsumieren haben, um dazuzugehören und in den verschiedenen Scheinwerferlichtern gesellschaftlicher Anerkennung zu glänzen. Die Bilder, denen wir ausgesetzt sind, sind allgegenwärtig und überwältigend, sie brauchen nicht introjiziert zu werden, sie infiltrieren die menschliche Psyche ohne Passierschein. Sie beinhalten sensomotorische und affektive Muster des Glücks und des narzisstischen Erfolgs, die unbewusst zu basalen Orientierungsmarkern werden. Gemessen an dem, was sie uns vorspiegeln, sind wir nur mittelmäßige Prototypen, die vor allem eins, nämlich verbesserungswürdig sind.
Folglich neigen wir dazu, alles Mögliche zu tun, um unsere Körper und Seelen zumindest ansatzweise den Imagos des Glücks und gelungenen Lebens anzugleichen, auch mittels körperlicher Selbstästhetisierung; dazu gehört ein ganzes Spektrum, von Fitness über Styling bis hin zu plastisch-chirurgischen Eingriffen. Die psychischen Formen von Selbstmanipulation sind subtiler. Sie beinhalten vor allem unbewusste und oft charakterlich fixierte Abwehroperationen, durch die das Selbst in narzisstisch-glänzende, geliebte und zur Schau gestellte Anteile und in ungeliebte, oft kaschierten Anteile, in denen die Kränkungen und Niederlagen und das Leid menschlicher Existenz gefangen bleiben, aufgespalten wird.
Warum aber ist die Depression, auch klinisch eines der weitverbreitetsten Symptome unserer Zeit, der Zwilling des narzisstischen Persönlichkeitsstils? Vielleicht weil das, was in den narzisstischen Inszenierungen eigentlich gesucht wird, nämlich ein erhöhtes Selbst- und Lebensgefühl, sich nur kurzfristig einstellt und alles andre als nachhaltig ist.
Die Orientierung an einem Image oder anders formuliert visuellen Körper- und Selbstbilds, unterminiert den fühlenden Kontakt und Selbstbezug; Bild und Selbstgefühl verhalten sich in diesem Zusammenhang wie Antagonisten. Wir spüren das, wenn wir narzisstische Inszenierungen als künstlich oder hohl erleben. Design kann Objekte gestalten, unser Gefühl als basale Ausdrucksebene unseres spontanen und subjektiven Selbst- und Weltverhältnisses und damit einer intelligenten organismischen-seelischen Orientierung und Regulation lässt sich darüber Gott sei Dank offensichtlich nicht grundlegend manipulieren. Darin dürfte der Grund liegen, weshalb zum Beispiel chirurgisch-plastische Selbstdesigner vielfach zu Serientätern werden und auf diesem Weg oft an die Grenze der Selbstverstümmelung geraten.
Wenn die Körper und die seelischen Gefühlsbewegungen zur Rohmasse des Selbstdesigns werden, wird die Basis von Subjektivität unterminiert, weil diese sich – Fritz Perls hat es vorformuliert – nur im sinnlichen Selbstgewahrsein erschließt und entfaltet.
Zu den aufgrund ihrer Medizinalisierung zu wenig beachteten Besonderheiten der modernen Tiefenpsychologie gehört die Einsicht, dass das menschliche Selbst vor allem unter den verschiedenen Formen der Zumutungen und Vereinnahmung durch die Kultur leidet und sich in diesem Kontext meist symptomatisch unter starker Einbeziehung des Körpers zu Wort meldet. Das war schon so am Beginn der Psychoanalyse zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Art und Weise, wie die junge Psychoanalyse die unverständliche Symptomsprache der Hysterie entzifferte, kann auch als kritischer Kommentar zum Viktorianischen Zeitalter gelesen werden. Es waren vor allem sensible und intelligente junge Frauen, die eingezwängt in ein enges Rollenkorsett daran gehindert waren, sich in selbstbestimmter Weise zu entfalten, sowohl was ihre Sexualität als als auch ihre Möglichkeiten zu mehr autonomen Lebensentwürfen betraf.
In der postmodernen Situation stehen wir vor der Aufgabe, andere vorherrschenden Symptomatiken auf dem Hintergrund eines veränderten gesellschaftlichen Kontextes neu zu dechiffrieren. Die weitverbreiteten Formen von Depression und Angst- und Panikstörungen, die allesamt ebenso wie die psychosomatischen Störungen eine starke körperliche Komponente haben, verweisen auf neue Zusammenhänge, die zur Zeit eher von Philosophen und Soziologen als von Therapeuten erörtert werden. Der französische Soziologe Alain Ehrenberg hat darauf hingewiesen, dass dem Einzelnen in der Postmoderne zunehmend die Verantwortung für das Gelingen seines Lebens zukommt, bei gleichzeitiger Verringerung der Lebenschancen, vor allem was Arbeit und wirklich selbstbestimmte Lebensräume betrifft. Der deutsch-koreanische Philosoph Byung-Chul Han besteht demgegenüber auf dem allgegenwärtigen Leistungsdruck als Ursache der depressiven Erschöpfungen. Ich würde vorschlagen, zwei weitere Aspekte hinzuzuziehen. Erstens die Renaissance von technokratisch durchrationalisierten, hochgradig autoritären Strukturen in weiten Teilen der Arbeitswelt und den Bildungsinstitutionen. Und zweitens die vorher angesprochene Kolonialisierung der menschlichen Psyche mit Bildern narzisstischer Grandiosität und Perfektion, die zu unseren Ich-Idealen werden und die wir natürlich ständig verfehlen und im realen Leben an ihnen scheitern.
Um zu verstehen, worauf es in diesem Kontext in der unmittelbaren therapeutischen Arbeit ankommt, ist es hilfreich, an ein Grundaxiom der Leibphilosophie zu erinnern. Die Leibphilosophen haben darauf verwiesen, dass das Leben sich uns erst erschließt, wenn wir es an uns selbst verspüren und von ihm betroffen sind. Erst im pathischen und affizierbaren, also im empfindsamen, verletzlichen und beeindruckbaren Dasein wird uns die Fülle und damit der Reichtum der menschlichen Existenz zugänglich. Körperpsychotherapie, die die grundlegende pathische Gestimmtheit menschlicher Subjekte anerkennt, muss sich davor hüten, Effekte zu erzielen und Gefühlszustände zu manipulieren. Statt dessen kommt es vielmehr auf einen eher untechnischen Prozess an, der die Gestimmtheit und die Gefühle des Klienten anerkennt, sie als Mitteilungen des Organismus oder der Seele ernst nimmt und versucht, den Sinn ihrer impliziten Mitteilungen zu entschlüsseln. Dies gelingt vor allem den Patienten nur im fühlenden Selbstkontakt; und wenn sich darüber hinaus im Laufe der Selbstexploration die körperlich fundierte Gefühlsabwehr lockert und es zu einer Reassoziation abgewehrter Selbstanteile kommt. Der therapeutische Gewinn besteht in zunehmender Selbstkohäsion, Selbstregulation und Authentizität.
Maslow hat im Bezug auf Selbstaktualisierung die Qualität der Authentizität betont. Die Textpassagen, in denen er über authentische Menschen spricht, haben ähnlichen Flaschenpostcharakter wie jene grundlegende Anmerkung, die Reich in seiner Charakteranalyse über die Psychoanalyse hinausgehend formuliert hat: dass beim Verdrängungsvorgang – das betrifft im Grunde alle Abwehrformen – zur Verdrängung und dem Verdrängten ein drittes Element hinzukommt, nämlich der Verlust von Kontakt. Das Kriterium, an dem sich die Qualität von Körperpsychotherapie demnach zu messen hat, ist nicht wie spektakulär sie sich gibt, sondern in welchem Maß sie unseren Selbstkontakt und damit ein gefühltes und gespürtes Wissen darum, wer wir sind, fördert. Die Wiederbelebung des Selbst und die Erweiterung der Fähigkeiten zur Selbstregulation basieren auf einem umfassenden Selbstkontakt und entstehen nicht infolge methodischer Interventionen oder Operationen.
Da Humanistische Psychologie im Wesen eine Perspektive und nicht eine Methodik ist, bedeutet dies, dass Körperpsychotherapie, die sich an Maslows anspruchsvoller Theorie der Selbstaktualisierung orientiert, gut beraten ist, wenn sie die Parameter Authentizität und Kontakt in Bezug auf die Wahrnehmung der Selbstexpressionen der Klienten wie auch der Therapeuten primär setzt.
Geradezu begeistert habe ich bei der erneuten Lektüre von Maslows Psychologie des Seins festgestellt, wie sehr er uns allen doch voraus war und ist. Im wichtigsten Teil seiner Schrift untersucht er, da wo es um die sogenannten peak experiences geht, Zeugnisse von Menschen über die wichtigsten, schönsten, wunderbarsten Erfahrungen ihres Lebens Auskunft geben. Zu den Probanten – in Anführungszeichen – gehören Liebende, Meditierer, Künstler und Menschen, die in ihren Professionen Erfüllung suchen und finden, Ozeaniker oder tief religiöse Menschen. Was sie in Maslows Perspektive eint ist, dass sie sich nicht in der egozentrischen Isolation verfangen, in der sich Menschen, die ihr Ich zum Projekt ihres Lebens machen, wiederfinden. Sie verfügen über ein Erfahrungswissen darüber, dass es etwas Größeres gibt als das eigene Selbst. Zu den wesentlichen Aspekten der Maslowschen Grenzerfahrungen gehört, dass die Wahrnehmung aus dieser Perspektive relativ ich-transzendierend, selbstvergessen sein kann, dass das Selbst wie in der ästhetischen Erfahrung oder in der Liebe im Objekt aufgehen kann; dass das Selbst Möglichkeiten in sich und in anderen erkennen kann, für die wir normalerweise blind sind. Und er berichtet von der Möglichkeit, wenn wir unsere Muster reaktiver emotionaler Abwehr überschreiten, unverzerrte Einblicke in die Tiefe und den Reichtum der menschlichen Existenz zu erhalten. Damit hat Maslow eine über die Pathologie der Normalität hinausweisende positive Seinspsychologie skizziert, die nicht mit den Plattitüden von das Glas ist halb voll oder halb leer Psychologien zu verwechseln ist. Seine Skizzen gehören meines Erachtens zu dem, was er uns als anspruchsvolles Erbe hinterlassen hat. Wenn Psychotherapie nicht nur als Beruf, sondern als vitale Inspiration überleben will, ist sie, glaube ich, gut beraten, sich an das Maslowsche Erbe auch in diesem Punkt zu halten.