Wie schwerwiegende Schicksalsschläge mit Hilfe einer Körperressource besser verarbeitet werden können
Bericht einer Teilnehmerin der Brainspotting-Ausbildungsgruppe:
„Thema der Arbeit mit Gerhard Wolfrum war der überraschend plötzliche Tod meines Mannes vor ca einem Jahr.
Zu Beginn der Brainspotting-Sitzung wurde ich gefragt, um was es gehen soll, an welchem Thema ich arbeiten möchte.
Ich schilderte den sehr plötzlichen Tod meines Mannes vor ca einem Jahr, er war erst 51 Jahre alt. Wir waren 28 Jahre ein Paar und 21 Jahre verheiratet. Es gab keinerlei Anzeichen für eine Erkrankung meines Mannes. Sein Tod kam völlig unvorhergesehen und hat mich und meine damals 17-jährige Tochter zutiefst erschüttert und schockiert.
Ich schilderte Herrn Wolfrum die Umstände dieses Schocktraumas und spürte schon beim Erzählen, dass innere Anspannung und Nervosität wuchsen. Mein Herz fühlte sich schwer an und Tränen rannen über mein Gesicht als ich mich den Erinnerungen stellte. Herr Wolfrum hörte aufmerksam und zugewandt zu und ich fühlte mich in seiner Präsenz angenommen.
Ich erwähnte, dass meine Mutter vor 39 Jahren ganz ähnlich gestorben war wie mein Mann. Auch sie hatte einen Herzinfarkt im Alter von 50 Jahren erlitten. Ich war damals 13 Jahre alt und erlebte die Situation und Umstände ihres Sterbens mit.
Als mich Herr Wolfrum nach dem schlimmsten Moment des Geschehens, als mein Mann starb, fragte, konnte ich dies direkt beantworten. Es war der Gesichtsausdruck des jungen Arztes, der mir in der Klinik schließlich die Nachricht überbrachte, dass mein Mann, trotz 90-minütiger Reanimation den Herzinfarkt nicht überlebt hatte. Gefühlt war ich mitten in der damaligen Situation und als Herr Wolfrum mich nach dem Grad meiner Aktivierung fragte, wusste ich sofort, dass es die höchstmögliche Aktivierung ist, 10 von 10 Punkten.”
Behandlungstechnische Anmerkung: Sobald Klienten einen Aktivierungswert von acht oder mehr Punkten zu Beginn einer Brainspotting-Sitzung angeben, muß davon ausgegangen werden, daß der SUD-Score und damit die Aktivierung noch weiter steigen wird. Um die Klienten affektiv nicht zu überlasten, sollte deshalb bereits hier nach einer Körperressource gesucht und damit ein Ressourcenspot gefunden werden. Ich vorliegenden Fall habe ich (GW) daher sofort die Klientin gebeten – trotz der jetzt sehr hohen Aktivierung im Körper – nach dem Bereich oder der Körperregion zu suchen, an der sie sich jetzt am relativ entspanntesten, bequemsten oder am meisten geerdet fühlen würde.
“Herr Wolfrum bot mir daraufhin an, zuerst einen Ressourcenpunkt zu installieren und fragte mich nach einer Stelle in meinem Körper, die sich, trotz der Aktivierung in meinem System, ruhig, entspannt oder geerdet anfühlte. Das Erste, was ich in meinem Körper wahrnahm, waren Stress, kalte Hände, angespannte Beine, ein schweres Herz und Zittern im Inneren. Als ich jedoch durch Herrn Wolfrum angeleitet meinen Körper scannte und nach einer ruhigeren Stelle suchte, bemerkte ich, dass sich die Fußsohlen beider Füße im Bereich der Fußballen warm und entspannt anfühlten.
Ich fokussierte auf diese Stellen, während Herr Wolfrum mit dem Pointer einen Blickpunkt suchte, der die Entspannung und das Wohlgefühl noch stärker werden ließ. Es dauerte nicht lange und dieser Ressourcenpunkt war gefunden und ich spürte, wie sich unmittelbar Entspannung in meinem Körper ausbreitete. Von den Fußsohlen beginnend stieg Wärme und Wohlgefühl in mir auf. Herr Wolfrum bat mich mehrere tiefe, freundliche Atemzüge zu nehmen und „aufzutanken“, was mir sehr guttat. Mit dieser Ressource konnte ich mich der Belastung stellen und wir suchten mit Hilfe des Pointers entlang des Gesichtsfeldes auf der x-Achse einen zweiten Punkt, der die Aktivierung verstärkte bzw. wo ich den besten Zugang zu den alten Erfahrungen spürte.
Auch dieser Punkt war rasch gefunden und ich spürte unmittelbar, wie starke Emotionen in mir aufstiegen. Heftiges Weinen kam in mir auf sowie Zittern und Anspannung in den Beinen. Herr Wolfrum fragte immer wieder nach den Empfindungen in meinem Körper, was mich in den gegenwärtigen Moment zurückbrachte. Der Aktivierungspunkt löste starke Emotionen und eine Flut von Erinnerungsbildern aus. Die Fragen nach der körperlichen Empfindung waren wie ein Anker in der gegenwärtigen Situation.
Herr Wolfrum machte mich darauf aufmerksam, dass ich nicht alleine im Raum sei, er da sei und die Gruppe auch, in der jetzigen Situation sei ich nicht alleine. Ich konnte zwar in meinem Prozess keine einzelnen Personen um mich herum ausmachen, aber diese verbale Erinnerung daran, nicht alleine zu sein, fühlte sich erleichternd an. In dieser vertrauensvollen Atmosphäre gelang es mir leicht, mich auf meinen inneren Prozess einzulassen. Meine Empfindungen waren sehr stark und ich war dankbar um den zweiten Punkt, den Ressourcenpunkt, zu dem ich selbständig immer wieder zurückkehrte, um mich von den Strapazen des Aktivierungspunktes zu erholen. Es fühlte sich an wie „Urlaub“ auf dem Ressourcenpunkt zu verweilen und unmittelbar eine Entspannung im gesamten Organismus sich ausweiten zu fühlen. Jedes Mal, wenn diese Erholung in mir aufstieg, bemerkte ich, wie Anspannung und Unruhe in meinem Inneren deutlich zurück gingen und ich tief und ruhig atmen konnte.”
Zweite technische Anmerkung: Der erste Vorteil des Arbeitens mit zwei Spots (Aktivierungs- und Ressourcenspot) besteht für die Klienten in der Möglichkeit nun selbst zu bestimmen, in welchem Ausmaß sie die Aktivierung zulassen wollen und auszuhalten bereit sind und ab wann sie zum Ressourcenspot wechseln wollen – um besser titrieren und dosieren zu können und sozusagen „Urlaub“ zu machen, wie die Klientin es ausgedrückt hat. Der zweite Vorteil besteht in den nun bestehenden Wahlmöglichkeiten und der wiedergewonnenen Selbstwirksamkeit – welche unter den ursprünglichen traumatischen Situationsbedingen niemals bestanden haben: Unter Traumabedingungen ist man immer hilflos (ohne Hilfe von außen), ohnmächtig (ohne Macht und Kraft) und damit den äußeren Bedingungen ausgeliefert – eine sehr fatale Bedingung für uns Lebewesen. Und wenn drittens die Klienten auch noch spüren können, daß sie in der therapeutischen Situation und im Verarbeitungs-prozeß nicht alleine sind – wie damals – dann können oft auch noch weiter zurück liegende Erfahrungen abgerufen und verarbeitet werden.
Nach ein paar Durchgängen des Wechsels zwischen Aktivierung und Ressource, kamen Bilder aus der Situation meiner Kindheit hoch, als meine Mutter starb und ich dies damals beobachten musste. Herr Wolfrum fragte nach der Situation und ich erzählte. Beim Erzählen tauchte ein Schuldgefühl in mir auf, das in der damaligen Situation sehr präsent gewesen war. Herr Wolfrum fragte nach diesem Schuldgefühl und warum es damals da war. Als er dies aussprach, tauchte eine weitere Erinnerung in mir auf, nämlich die an den Suizid meines Vaters vor vier Jahren. Mir wurde zum ersten Mal bewusst, dass alle drei Todesfälle in meinem Organismus miteinander verknüpft waren.
“Herr Wolfrum wies darauf hin, dass es ja insgesamt eine heftige Geschichte sei, da ich drei Verluste sehr naher Personen erlitten habe. Diese Aussage hat mich sehr berührt und das Bewusstsein in mir dafür sensibilisiert. Nach wie vor hatte ich immer wieder starke körperliche Reaktionen im Prozess, die von Zittern im ganzen Körper und heftigem Weinen begleitet waren. Ich wechselte zwischen meinem Ressourcenspot und dem Aktivierungspunkt hin und her. Jedes Mal, wenn die Aktivierung zu intensiv war, war ich dankbar für die Möglichkeit der Erholung beim Ressourcenspot.
Herr Wolfrum meinte, dass der Tod meines Vaters ja auch erst vier Jahre zurückliegen und durch seinen Suizid zudem auch eine große Belastung darstellen würde. Diese Worte berührten mich sehr und ich fühlte mich verstanden und angenommen. Ein Suizid im engen familiären Umfeld ist meist mit Scham verbunden und die konnte ich in der Situation auch spüren. Die empathische Begleitung ermutigte mich deshalb mich in meinem Prozess zeigen zu dürfen. Es tauchten Bilder und Erinnerungen bezüglich des gewaltsamen Todes meines Vaters auf und ich erzählte davon. Auf einmal spürte ich, dass ich dieser traumatischen Situation gegenüber eher Wut in meinem Körper wahrnehmen konnte, statt Trauer, wie bei der Erinnerung an den Tod meines Mannes und den Tod meiner Mutter. Ich wurde ermutigt die Wut zuzulassen, was mir möglich war und so ließ ich mich auf die körperliche Anspannung, die deutlich spürbar war ein und verstärkte sie noch. Kurz darauf entstand eine unwillkürliche Abreaktion in meinem Körper und ich zitterte und schüttelte Arme und Beine.
Nachdem dieser Prozess abgeklungen war, wechselte ich erneut zu meinem „Urlaubs-Punkt“ auf dem Ressourcen Spot und spürte dann eine noch tiefere Entspannung und eine sich ausbreitende Ruhe in meinem ganzen Körper. Ich verweilte einige Zeit an diesem Punkt und nahm die Erholung in mir auf. Ich spürte eine angenehme Müdigkeit und Erschöpfung. Ein letztes Mal wechselte ich zu dem Aktivierungspunkt. Dort war eine leichte Trauer weiterhin spürbar, die sich aber wie ein sanfter Schleier anfühlte, der sicher auch angemessen ist in Anbetracht der Gegebenheiten meines Lebens. Eine echte Aktivierung im Sinne eines deutlichen Stresses konnte ich nicht mehr wahrnehmen und wir beendeten die Sitzung.
Es war, gemessen an der Situation, eine sanfte Erfahrung. Brainspotting und Herr Wolfrum haben mir die Möglichkeit gegeben, mich den schmerzhaften Ereignissen zuzuwenden und mich gleichzeitig sicher zu fühlen. Ich bin sehr dankbar für diese Erfahrung“.
Wir bedanken uns sehr herzlich für die Erlaubnis, diesen Erfahrungsbericht weitergeben zu dürfen!
Die 2003 von dem Psychoanalytiker Dr. David Grand entdeckte traumatherapeutische Methode Brainspotting ist ein neuropsychotherapeutisches, körper- und gehirnbasiertes Traumatherapieverfahren, welches mit nahezu jedem anderen Verfahren zur Traumaverarbeitung verbunden werden kann. Es knüpft an Erkenntnisse von Daniel Siegels interpersoneller Neurobiologie und von Somatic Experiencing an und kann als Weiterentwicklung von EMDR verstanden werden. Ziel ist jenseits eines kognitiven Zugangs die schonende Integration desintegrierter lebensgeschichtlicher Belastungserfahrungen.
Brainspotting bieten wir unter der Leitung von Dr. Gerhard Wolfrum als Traumatherapeutische Fortbildung für approbierte Psychotherapeuten sowie für Heilpraktiker für Psychotherapie (jeweils m/w/d) an.
Die nächsten Brainspotting Workshops in ZIST finden Sie hier.